(Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit; Bd. 38)
Die individuelle Bedeutung von Heroinabhängigkeit und der Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl wird hier vor einem anthropologisch-existentialistischen Hintergrund betrachtet. Es wird für den Menschen als notwendig angenommen, seinen Wahrnehmungen und Erfahrungen innerhalb bestimmter Strukturen eine subjektive Bedeutung und einen persönlichen Sinn zuzuweisen, was die Orientierung an einem konsensuellen gesellschaftlichen Wertesystem voraussetzt. Sie erlaubt dem Einzelnen, sein Verhalten zu beurteilen und sich als einen wertvollen Menschen zu erleben, sofern er ihren Standards entspricht, und sich gleichzeitig mit anderen zu vergleichen und (positiv) von ihnen abzugrenzen. Das impliziert, daß der Mensch wesentlich auch selbst der Konstrukteur seines jeweiligen aktuellen Selbstkonzepts ist.
Heroinabhängigkeit stellt einen Versuch dar, einem durch Eltern und/oder andere mit der Erziehung betraute Personen als indifferent oder widersprüchlich vermittelten Wertesystem und darüber einem Weltbild, dessen Übernahme subjektiv wenig Sicherheit zu vermitteln scheint, ein alternatives Modell zur individuellen Sinnstiftung und Orientierung gegenüberzustellen. Die Aufgabe der Abhängigkeit erscheint nur möglich, wenn es gelingt, einen individuellen Weg der Selbstwertsteigerung zu finden, der weder Rauschmittelkonsum noch die Übernahme des konsensuellen kulturellen Weltbildes erfordert. Heroinabhängigkeit wird damit hier nicht als persönliches Versagen oder "Krankheit" verstanden, sondern unter anderem als ein Sozialisationsdefizit und aus dieser Sicht als fehlgeschlagener Versuch der Individuation. Die Frage, warum die Befragten nicht andere alternative Lebensentwürfe für sich wählen, kann auf der Grundlage der Ergebnisse allerdings nicht beantwortet werden.
Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie können Konsequenzen für die verschiedenen Ansätzeder Suchtprävention abgeleitet werden. In der Arbeit mit Eltern und insbesondere mit in der Erziehung und Bildung Tätigen erscheint es wichtig, die Bedeutung eines konsistenten Erziehungsstils zu vermitteln sowie konkrete Handlungsmodelle und Übungs- und Begleitungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Inhalt:
1. | Einleitung |
2. | Theoretische und empirische Hinweise zur Fragestellung |
2.1 | Theoretische Ansätze zum Verständnis von Drogenabhängigkeit aus sozialpsychologischer Perspektive |
2.1.1 | Sozialpsychologische Theorien zu den Entstehungsbedingungen von Drogenabhängigkeit |
2.1.2 | Bedeutung von Selbstbild und Selbstwertgefühl zur Entstehung von Drogenabhängigkeit - Themenrelevante Untersuchungen und Befunde |
2.2 | Überlegungen zum Selbstwertgefühl aus anthropologisch-existentialistischer Perspektive |
2.2.1 | Grundannahmen der Theorie der Motivation menschlichen Handelns und Sozialverhaltens und der Terror Management Theorie |
2.2.2 | Grundannahmen der Existentiellen Psychotherapie |
2.3 | Entwicklung des Selbstkonzepts |
2.3.1 | Entwicklung des Selbstbildes und Selbstwertgefühls |
2.3.2 | Konzeptualisierungen von Störungen des Selbstbildes und Selbstwertgefühls unter entwicklungsbezogener Perspektive |
2.4 | Zum Zusammenhang zwischen Störungen des Sozialisationsprozesses und Drogenabhängigkeit |
2.4.1 | Bedeutung des Selbstwertgefühls vor dem Hintergrund fehlender Orientierung an konsensuellen Normen und Werten sowie deren Bedeutung für den Beginn und die Beendigung einer "Suchtkarriere" |
2.4.2 | Akzeptanz konsensueller Normen und Werte und Drogenabhängigkeit - Themenrelevante Untersuchungen und Befunde |
2.5 | Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Arbeit |
3. | Fragestellung und Forschungshypothesen |
4. | Methodisches Vorgehen |
4.1 | Relevanz der Datenerhebung durch Interviews |
4.1.1 | Entwicklung des Interviewleitfadens |
4.1.2 | Einflußgrößen beim Interview |
4.1.3 | Durchführung der Interviews |
4.2 | Technische Durchführung der Interviews |
4.3 | Integration verschiedener Ansätze zur Auswertung verbaler Daten |
4.4 | Vorgehen bei der Auswertung der Interviews aus der Untersuchung: Qualitative Inhaltsanalyse und Entwicklung Kausaler Modelle |
4.5 | Zentrale Aspekte der Ergebnisdarstellung |
5. | Ergebnisse |
5.1 | Familiäre Situation in der Kindheit |
5.2 | Kontakt zu Rauschmitteln |
5.3 | Motivation, Opiate zu konsumieren |
5.4 | Motivation für das Verlassen der Drogenszene |
5.5 | Stabilisierung der Abstinenz der Ex User mit Aufgaben im professionellen Drogenhilfesystem |
5.6 | Stabilisierung der Abstinenz der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon |
5.7 | Aufgabe der Hoffnung auf abstinententes Leben der Teilnehmer am Methadonprogramm |
5.8 | Straftat der Interviewpartner im Maßregelvollzug als "Hilferuf" |
5.9 | Stabilisierung des Selbstwertgefühl durch Teilnahme am Heroinvergabeprogramm |
5.10 | Existentielle Aspekte |
6. | Kausale Netzwerke der interviewten Gruppen |
7. | Diskussion |
7.1 | Entwicklungsbedingungen für das Selbstwertgefühl der untersuchten Drogenabhängigen in der Kindheit |
7.2 | Möglichkeiten der Interviewpartner zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls im Jugendalter |
7.3 | Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Beginn des Drogenkonsums |
7.4 | Bedeutung der Aufnahme des Heroinkonsums für das Selbstwertgefühl |
7.5 | Veränderungen des Selbstwertgefühls im Verlauf der Heroinabhängigkeit |
7.6 | Zusammenhänge zwischen der aktuellen Lebenssituation und dem Selbstwertgefühl |
7.7 | Existentialistische Aspekte |
7.8 | Zusammenfassung der Diskussion |
7.9 | Mögliche Schlüsse aus den Ergebnissen, Begrenzungen der Studie und Anregungen für weitere Forschungsarbeiten |
8. | Schlußbemerkung - Konsequenzen aus den Ergebnissen für die Prävention |
9. | Literatur |
Anhang |