Eine unmögliche Entscheidung

Pränataldiagnostik: Ihre psychosozialen Voraussetzungen und Folgen

Friedrich, Hannes / Henze, Karl-Heinz / Stemann-Acheampong, Susanne


Pränataldiagnostik als wichtiges Element der medizinischen Schwangerschaftsvorsorge wird in den letzten Jahren von Ärzten, Eltern und gesellschaftlichen Gruppierungen sehr unterschiedlich bewertet. Sie erscheint einerseits als hilfreiches oder unverzichtbares Angebot der Medizin, andererseits wird der damit verbundene technische Zugriff auf die Schwangerschaft problematisiert und das zugrundeliegende Menschen- und Gesellschaftsbild kritisiert.

Die vorliegende empirische Studie untersucht genauer, was sich eigentlich bei der Entscheidung für oder gegen die Pränataldiagnostik abspielt. Dabei zeigt sich, daß häufig nur in einem eingeschränkten Sinn von "Entscheidung" gesprochen werden kann, weil die Beteiligten im unklaren lassen, daß überhaupt eine Entscheidung gefällt werden muß, wer dafür zuständig ist und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Oft bestehen zwischen Ärzten und Patientinnen stillschweigende Arrangements, die dazu führen, daß die möglichen Auswirkungen der Pränataldiagnostik nicht näher beleuchtet werden.

Der Sinn eines solchen Umgangs mit der vorgeburtlichen Diagnostik wird erhellt, indem die medizinische Schwangerschaftsvorsorge und ihre Rahmenbedingungen weiterführend analysiert werden. Dabei wird herausgearbeitet, daß die Untersuchungsverfahren ungeachtet ihrer medizinischen Bedeutung einen verborgenen rituellen Sinn haben, der ihre Anwendungen stärker prägt, als den Beteiligten bewußt ist. Pränataldiagnostik fügt sich so als Angebot zur Angstbewältigung in den Rahmen eines Übergangsritus ein, der zwischen der Schwangeren und dem betreuenden Arzt abläuft.


Inhalt:

I Die wichtigsten Verfahren der Pränataldiagnostik
II Bewertungen der Pränataldiagnostik

1 Bewertungen der Pränataldiagnostik in der Medizin bzw. Humangenetik
2 Stellungnahmen aus der Behindertenbewegung
3 Stellungnahmen aus feministischer Sicht
4 Bewertung der Pränataldiagnostik und ihrer Kritik aus einer psychoanalytisch orientierten Perspektive (Ehrlich)
III Der Ansatz unserer Fragestellung 1 Das grundlegende Paradigma: die eigenständige und vertretbare Entscheidung
1.1 Konstitutive Momente von Entscheidungen
1.2 Der Umgang mit der Pränataldiagnostik als eigenständige und vertretbare Entscheidung
2 Die Darstellung von Entscheidungen als Widerspiegelung des Entscheidungsparadigmas
3 Konsequenzen für die Durchführung der Interviews
4 Methodische Leitvorstellungen zur Auswertung
IV Angaben zu den Interviews 1 Datenerhebung
2 Angaben zu den Interviewten
2.1 Eltern
2.1.1 Rekrutierung der Interviewpartner
2.1.2 Umfang der Interviewgruppe
2.1.3 Indikationen und Ergebnisse der pränataldiagnostischen Maßnahmen
2.1.4 Umgang mit der Pränataldiagnostik
2.1.5 Zur Repräsentativität der Interviews
2.2 Ärzte
2.2.1 Rekrutierung der Interviewpartner
2.2.2 Interviewgruppe
2.2.3 Zur Repräsentativität der Interviews
2.3 Hebammen und Geburtsvorbereiterinnen
2.4 Longitudinalinterviews
2.4.1 Rekrutierung und Umfang der Interviewgruppe
2.4.2 Indikation und Ergebnisse der pränataldiagnostischen Maßnahmen
2.4.3 Zur Repräsentativität der Interviews
V Auswertung der (ELTERN)-Interviews A Entscheidungen über die Anwendung der Pränataldiagnostik
1 Die Entscheidungssituation und ihr Subjekt
1.1 Die Situation der Schwangeren
1.2 Die Position der Ärzte aus der Sicht der Frauen
1.3 Die Position der werdenden Väter
1.3.1 ... aus der Sicht der Frauen
1.3.2 ... in der Darstellung der Männer
2 Inhalte und Konsequenzen der Entscheidung
2.1 Triple-Test
2.2 Amniozentese
2.3 Die Position der Ärzte aus der Sicht
3 Die intendierten Ziele
3.1 Die Sicht der Schwangeren
3.2 Die Position der Ärzte in der Darstellung der Frauen
3.3 Die Sicht der werdenden Väter
4 Die Begründung der Entscheidung
4.1 ... aus der Sicht der Schwangeren
4.2 ... aus der Sicht der werdenden Väter
5 Zusammenfassung
Der Umgang mit den Problemen der Entscheidung: Abwehrformen
1 Verleugnung und Verdrängung
2 Vorsätzliches Nicht-Wissen und vorsätzliches Vorenthalten von Information
3 Verzettelung und Delegation von Verantwortung; Schuldzuweisung
4 Zusammenfassung: Konfliktträchtige Bewältigungsformen
C Unerwartete Schwierigkeiten
1 Positives Triple-Test-Ergebnis
2 Der Entschluß zur Amniozentese nach positivem Triple-Test
3 Nach der Amniozentese
3.1 Die angstvolle Wartezeit
3.2 Die erlösende Mitteilung
4 Der negative Fall: Abtreibung und Schwangerschaftskomplikationen
4.1 Die Haupt-Betroffenen
4.2 Abwehrstrategien im medizinischen Umfeld
5 Ende gut – alles gut?
D Folgerungen: Bessere Aufklärung und Beratung?
E Rahmenbedingungen der Pränataldiagnostik: die "anderen Umstände" als biographisch-normative Krise
1 Der falsche Zeitpunkt
2 Übergangsriten und Übergangsmentoren
2.1 Das Fehlen der weiblichen Übergangsmentoren
2.2 Der Frauenarzt als Übergangsmentor
2.2.1 Die rituelle Bestätigung
2.2.2 Der Umgang mit Ambivalenz
2.2.3 Der Arzt als Autorität und Vertrauter
2.2.4 Das Dilemma der ärztlichen Schwangerschaftsvorsorge: medizinisches und rituelles Handeln
3 Die Pränataldiagnostik im Spannungsfeld von medizinischem und rituellem Handeln
3.1 Angstindikationen
3.2 Alters- und Risikoindikationen und die objektivierte Angst
F Zusammenfassung
G Zur Allgemeingültigkeit der Ergebnisse
VI Auswertung der Ärzte-Interviews A Die konstitutiven Elemente der Entscheidung
1 Die Entscheidungssituation
2 Das Subjekt der Entscheidung
3 Die Inhalte und Konsequenzen der Entscheidung
3.1 Triple-Test
3.2 Amniozentese
4 Die intendierten Ziele
5 Die Begründung der Entscheidung
B Der Umgang mit den Problemen der Entscheidung: Abwehrformen
1 Triple-Test (Verdrängung und Verleugnung)
2 Amniozentese (Verdrängung und Verleugnung)
3 Vorsätzliches Vorenthalten von Information
4 Verzettelung der Verantwortung
5 Zusammenfassung
C Die latente "Entscheidungs"struktur
1 Die Schwangere als Initiantin
2 Die rituelle Beziehung zwischen dem Arzt und der Schwangeren
3 Die rituelle Funktion der Pränataldiagnostik
VII Zusammenfassung: Der Umgang mit der Pränataldiagnostik – eine selbstbestimmte Entscheidung?
VIII Konsequenzen für ein Beratungskonzept: Entmystifizierung der ärtzlichen Schwangerschaftsvorsorge
IX Die nicht-ärtzliche Schwangerschaftsvorsorge – eine Alternative? 1 Die ergänzende Funktion von Hebammen und Geburtsvorbereiterinnen
2 Ein alternativer Ansatz
3 Schlußfolgerungen
Literaturverzeichnis
Anhang: Transkriptionszeichen, Zitationserläuterungen und Anmerkung zu den Seitenverweisen



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